Spruchblasen aufblasen

(Früher hieß das: Dicke Backen machen.)

Saskia Esken bekam letzte Woche die Gelegenheit, bei ntv ihr Herz auszuschütten; ntv nennt das allerdings ein Interview.

Der von ntv veröffentlichte Text des Interviews umfasst, einschließlich der Fragen, die Sebastian Huld für ntv stellte, 1.924 Wörter. Fast die Hälfte davon (48,8 %) entfielen auf die Thematik “FDP – Haushalt – Lindner”. Abgeschlagen, mit 27,1 Prozent, steht das AfD-Problem dennoch noch auf Platz 2 der Rangliste. Weniger als ein Fünftel des Interviews entfiel auf das Pfeifen im Walde, mit dem Esken den wagemutigen Versuch unternahm, die miserable Lage der deutschen Wirtschaft in ein “Tal der Chancen” umzudeuten. Der Rest des Interviews, 6,1 Prozent, wurden genutzt, um Olaf Scholz gut aussehen zu lassen.

Wenn man den Umfang, den die einzelnen Themenbereiche im Interview einnehmen, gleichsetzt mir ihrer Wichtigkeit für die SPD und deren Vorsitzende Esken, was keineswegs abwegig ist, und die Wichtigkeit so interpretiert, dass sie die Menge der ungelösten Probleme widerspiegelt, dann schält sich heraus, dass das größte Problem der SPD darin besteht, an das Geld zu kommen, das gebraucht wird, um munter mit der großen Transformation fortfahren zu können.

Das entbehrt nicht einer gewissen Logik. Gibt es das nötige Geld, können alle negativen Folgen der Ampel-Politik damit zugedeckt, übertüncht und mit Goldrand versehen werden. Alle realen Probleme werden erst akut, wenn es am Geld mangelt, das erforderlich ist, um sie dahinter zu verstecken. Von daher stehen die realen Probleme hinter Lindner und AfD erst an dritter Stelle der Rangreihe.

Warum aber hat die AfD in der Wahrnehmung der SPD-Vorsitzenden ein höheres Gewicht als der Niedergang der deutschen Wirtschaft? Nun, die AfD ist gefährlich, weil sie willens und in der Lage ist, den beschönigenden Schleier aus Geld als solchen zu benennen, ihn wegzuziehen und damit die wahren Verhältnisse im Lande auch für jene sichtbar zu machen, die den Warnungen der Unternehmerverbände und Konzernchefs, die ja überall laut zu hören sind, eher grundsätzlich skeptisch gegenüber stehen. Selbst wenn es Lindner schaffen sollte, die großen Baustellen mit Geld aus dem Haushalt zuzudecken: Die AfD könnte dieses Manöver vereiteln, indem sie die Camouflage aufdeckt.

Nun ist es aber relativ schwierig, mit der AfD in der sachlichen Auseinandersetzung auf einen Nenner zu kommen. Eine Politik, explizit für Deutschland, ist für Grüne und Rote ja etwas, womit sie – wie Habeck es ausgeführt hat – nichts anfangen können, weil dies mit der Politik für das Weltklima, für die Wirtschaftsmigranten aus aller Welt, für die Übertragung auch noch der letzten Souveränitätsrechte Deutschlands an die EU und die WHO und die NATO, einfach nicht in Einklang zu bringen ist.

Das Ansinnen, nationale Interessen wieder stärker zu vertreten, wird von Esken daher mit einer eher peinlichen Spruchblase abgetan: “Da beschwört man alte Zeiten, in denen wir angeblich weniger abhängig waren von anderen Ländern und wo wir noch weniger fremde Menschen hier hatten. Und da war angeblich alles besser.”

Hallo!

Wann war Deutschland nach Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Krieg in einer Situation, die unangenehmer war als heute?

Wann waren Strommangel und Strompreise Anlass für die Industrie, aus dem Land zu flüchten?

Wann waren Wohnungen so unerschwinglich wie heute?

Wann lag die Baubranche so am Boden, wie heute?

Wann ist die Staatsverschuldung so rasant angestiegen wie heute?

Wann gehörten Messerstechereien und psychisch gestörte Einzeltäter so selbstverständlich zu Deutschland, dass sie es kaum noch in die überregionalen Nachrichten schaffen?

Wann hatte Deutschland ein Problem, dringend benötigtigte Medikamente in die Apotheken zu bringen?

Wann hatte Deutschland das Problem, dass Krankenhäuser und Pflegeheime reihenweise in die Insolvenz schlittern?

Wann in der Vergangenheit war die Angst, seine Meinung nicht mehr frei sagen zu dürfen, größer als heute?

Nein. Es war natürlich nicht “alles” besser. Da hat Frau Esken schon recht.

Die Fernseher waren kleiner.
Aber die Nachrichten waren glaubhafter.

Die Löhne waren nominell niedriger.
Aber es reichte der Lohn eines Verdieners um eine vierköpfige Familie gut über die Runden und einmal im Jahr für drei Wochen über den Brenner an die Adria zu bringen.

Die Politiker waren weniger chic gekleidet, weniger aufwendig frisiert und geschminkt und wurden noch nicht ganzjährig von Hoffotografen begleitet.
Aber es ist ihnen noch gelungen, gute Politik für Deutschland zu machen.

Das, worauf es ankommt, das war besser. Deutlich besser.

Bei dieser Sachlage bleibt Frau Esken als Hoffnung nur das Parteiverbot, was sie wie folgt zum Ausdruck gebracht hat: “Nach meiner Ansicht verfolgt sie (die AfD) damit verfassungsfeindliche Ziele und muss vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Und wenn sich der Verdacht bestätigt, dann muss diese Partei verboten werden.”

Ja. Und das Verbot muss möglichst noch vor den nächsten Wahlen her, wann immer die anstehen mögen. Da, meine ich, hat Frau Esken vollstes Vertrauen zu Herrn Haldenwang.

Schwieriger ist es mit der FDP. Die sitzt ja mit im Boot. Hat aber auch ihr eigenes Klientel, das nicht enttäuscht werden darf, und einen – wenn auch schon beschädigten – Ruf in Sachen Wirtschafts- und Finanzkompetenz. Das wird noch mühsam, mit dem Haushalt, aber letztlich wird Lindner die Ampel nicht stürzen wollen, wie seinerzeit Genscher die SPD-FDP-Koalition unter Helmut Schmidt.

Deshalb ist es in den Augen von Frau Esken richtig, dass “wir” uns in die real existierende Rezession nicht von abweichlerischen Ökonomen erst noch hineinreden lassen. Denn ein Tal der Tränen, das ist Schwarzseherei, wie ein halbleeres Glas. Machen wir ein halbvolles daraus, ein Tal der Chancen. “Wir haben in Deutschland kluge Köpfe und eine sehr innvoative Wirtschaft.”

Bedenken sollte Frau Esken allerdings, dass die klugen Köpfe das Land schon länger verlassen. 1,2 Millionen Auswanderer aus Deutschland wurden alleine 2022 gezählt, nach knapp einer Million 2021 und 964.000 im Jahr 2020. Inzwischen folgt die innovative Wirtschaft den ausgewanderten Fachkräften, vor allem in Richtung USA und China.

Das Tal existiert. Es liegt in der Mitte Europas. Die Chancen existieren ebenfalls, sie sind vom Tal aus zu erkennen. Wer sie nutzen will, muss sich allerdings dahin begegeben, wo sie sich auftun.

Warnhinweis!

Die hier vorgestellt Interpretation kann vollkommen falsch sein.

Aus jahrelangen ideologischen Grabenkämpfen gestählt hervorgegangene Rhetoriker würden eine andere Taktik anwenden.

Das allergrößte Problem, in diesem Falle wäre das Olaf Scholz, der unsichtbare Bremser, wird möglichst gar nicht, oder aber, besser, nur beiläufig und am Rande erwähnt, während ein selbst konstruiertes Scheinproblem, hier die vollkommen unnötige Sorge um das Ausbleiben des rechtzeitigen Nachgebens (Umfallens) der FDP, drohend in den Vordergrund gerückt wird.

Ebenfalls kleingehalten werden die real existierenden Probleme, hier alles, was die momentanen wirtschaftlichen und sozialen Probleme Deutschlands betrifft, womit suggeriert wird, dass die Rezepte zur Lösung nicht nur bekannt, sondern bereits in Anwendung befindlich sind und der Erfolg schon bald – also nach der erforderlichen Gar- und Reifezeit – zu bewundern sein wird.

Da, wo das eigene Konzept so verfahren ist, dass eine Problemlösung aus eigener Kraft nicht mehr möglich ist, hier die hinter den eigens hochgezogenen Brandmauern sogar von der Zusammenarbeit in einfachsten und unumstrittenen Sachthemen ausgeschlossene AfD, wird darauf verwiesen, dass dieses Problem nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt, sondern vom Verfassungsgericht nach Vorarbeit des Verfassungsschutzes aus der Welt geräumt werden muss und wird.

Welche dieser Lesarten die für Deutschland eindeutig bessere wäre, ist gar nicht so leicht zu entscheiden.