Floskeln

Es war was, in New York. Am East River. Bei der UN.

The Chancellors Speech.

BILD war dabei und hat für uns die Highlights festgehalten:

Scholz warnte in seiner UN-Rede vor Schein-Lösungen, „die Frieden lediglich im Namen tragen“.
He said also:
„Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat.“

Was mag er wohl gemeint haben, mit “Scheinlösungen, die Frieden nur im Namen tragen”?

Wenn man nicht bis zum Westfälischen Frieden von 1648 zurückgehen will, sondern sich in der jüngeren Vergangenheit umsieht, dann fällt auf, dass vor allem Deutschland vor einer solchen Scheinlösung bewahrt werden konnte. Die Bundesrepublik Deutschland, als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs, befindet sich immer noch im Status des Waffenstillstands. Wahrscheinlich nur deshalb, weil ein Friedensvertrag auch nur eine Scheinlösung wäre. Auch mit Korea gibt es keinen Friedensvertrag.

Anders verhält es sich da, wo sich die USA letztlich unverrichteter Dinge nach langen Jahren militärischen Engagements von selbst zurückgezogen haben. 1973 kam es zum Vertrag von Paris, das “Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam”, und 2020 das Doha-Abkommen, mit der offiziellen Bezeichnung “Agreement for Bringing Peace to Afghanistan“.

Sind das Beispiele für “Scheinlösungen, die Frieden lediglich im Namen tragen”, weil es keinen militärischen Sieg gegeben hat, der eine richtige Lösung gerechtfertigt hätte?

Vermutlich wollte der Kanzler aber lediglich vermeiden, den von der Außenministerin bevorzugten Terminus “Diktatfrieden” zu verwenden. Ob aus Abneigung gegen den Begriff, der doch unheimlich an Versailles erinnert, oder auch nur, um sich von der feministischen Außenpolitik abzugrenzen? Beides wäre möglich.

Aber vielleicht helfen die beiden von der BILD ebenfalls überlieferten Floskeln bei der Erklärung der Bedeutung des Begriffs “Scheinfrieden” weiter.

  • „Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung.
  • Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat.“

Man kann aus beiden Sätzen getrost den “Frieden” streichen. Mangelt es an Freiheit, herrscht Unterdrückung, egal ob im Krieg oder im Frieden, und wo es an Gerechtigkeit mangelt, herrscht ebenfalls Unterdrückung, die man halt auch als Diktatur bezeichnen kann. Gerechtigkeit ist übrigens ein Zustand, an dessen Herstellung Politiker ebenso scheitern müssen, wie Alchemisten an der Herstellung von Gold scheiterten. Man kann Recht setzen, man kann Recht durchsetzen, man könnte sogar versuchen, Recht gegen jedermann gleich durchsetzen, was allerdings nahezu übermenschliche Fähigkeiten erfordert. Doch mit der Gerechtigkeit verhält es sich anders. Die liegt jeweils im Auge des Betrachters und wird absolut nicht einheitlich gesehen.

Der Kanzler verwendet hier, ob bewusst oder unbewusst, Begriffe aus der Sphäre des Zusammenlebens von Individuen auf die Gegebenheiten zwischenstaatlicher Beziehungen an. Was für den einzelnen Menschen die “Freiheit” ist, ist für den Staat die “Souveränität”, und was für den einzelnen Menschen die “Gerechtigkeit” ist, das ist für den Staat wiederum nichts anders als seine “Souveränität” und die sich aus der Handhabung dieser Souveränität ergebenden Konsequenzen in den zwischenstaatlichen Verhältnissen, die als gerecht oder ungerecht empfunden werden können, aber doch nichts anderes sind als die Reaktionen anderer souveräner Staaten.

Für den Kanzler eines Staates, der seit 1945 nie (mehr) ein souveräner Staat war und ist (u. a. Wolfgang Schäuble), mögen diese Unterscheidungen ohne Bedeutung sein, für Russland und auch für die Ukraine haben sie eine Bedeutung.

Zurück zur Scheinlösung.

Nehmen wir an, es käme zu einem Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine. Läge es dann nicht in der Verantwortung beider Staaten, innerhalb ihrer jeweiligen Staatsgebiete und für ihre jeweiligen Staatsvölker sowohl Frieden als auch Gerechtigkeit herzustellen? Ist es nicht vollständig unmöglich, in einem Friedensvertrag das Verhalten der Regierungen gegenüber der jeweiligen Bevölkerung so festzuschreiben, dass dort Freiheit und Gerechtigkeit gewährleistet werden?

Wäre ein solcher Vertrag nicht ausgerechnet das, was als ein Diktatfrieden bezeichnet werden müsste, weil er beiden Staaten ihre Freiheit nimmt?

Frieden ist ein Zustand, der auf der Zusicherung beruht, nach der Einigung über Grenzverlauf und Reparationsleistungen sowieso Freilassung der Kriegsgefangenen, die Feindseligkeiten vollständig einzustellen und zu normalen diplomatischen Gepflogenheiten zurückzukehren. Also die Diplomatie als Fortsetzung der Auseinandersetzung mit friedlichen Mitteln einzusetzen, statt sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.

Ob es dazu kommt, sollte Angelegenheit der Kriegsparteien sein, deren Zugeständnisse und Forderungen einzig auf deren Einschätzungen über die Ergebnisse, bzw. Folgen, einer Fortsetzung des Krieges beruhen.

Deutsche Waffenlieferungen und Hilfszahlungen an die Ukraine mögen einen Einfluss auf diese Einschätzungen haben, ob dieser Einfluss sich am Ende als positiv oder negativ herausstellen wird, bleibt abzuwarten.