Der Aufstand der Lisa Paus

Die Aufmerksamkeit der Medien währte nur einen Wimpernschlag lang. Schon als der Skandal erst ein paar Stunden alt war, wurde stattdessen gelobt, was die Kabinettsrunde beschlossen hat, und locker übergangen, was nicht zu beschließen gelungen ist.

Da sind jetzt – erkennbar – vier Ampelianer ganz hoch auf der Palme, wie viele sich im Hintergrund noch auf der Palme befinden mögen, ist nur zu erahnen, doch es dürften viele sein. Sprechen wir zunächst über die vier Hauptprotagonisten:

  1. Olaf Scholz
    Olaf Scholz hat das gewagte Versprechen abgegeben, bei der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Ende August werde das Wachstumschancengesetz des Herrn Lindner verabschiedet. Wie wird er bis dahin den Widerstand von Frau Paus brechen? So, wie die sich aus dem Fenster gelehnt hat, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er bittet den Bundespräsidenten Frau Paus die Entlassungsurkunde auszustellen, oder er sucht die Milliarden zusammen, die nach den optimalen Vorstellungen aus dem Ministerium für allerlei Soziales unverzichtbar für die KiGruSi benötigt werden.
  2. Christian Lindner
    Der Finanzminister steht auf dem Standpunkt, dass es in wirtschaftlich krisenhaften Zeiten mehr darauf ankommt, wieder ins Geldverdienen zu kommen als der Solidargemeinchaft der Steuerzahler noch mehr Bürden aufzuladen. Von daher hat er im Haushaltsentwurf die Wünsche von Frau Paus nicht berücksichtigt, obwohl die versucht hat, mit der Kürzung des Elterngeldes die Refinanzierung der Kindergrundsicherung aus dem eigenen Etat zu sichern.
  3. Robert Habeck
    Es gibt optische Täuschungen, die sich leicht einstellen, wenn sich Bezugssysteme unterschiedlich bewegen. Es ist nicht Robert, der sich bewegt und durch die himmlischen Gefilde der Wirtschaft fliegt, es ist die Wirtschaft, die ihm schneller als ihm lieb ist um die Ohren fliegt. Ob er sich vor Lindner so tief verbeugt hat, wie vor dem Energieminister von Katar? Das wissen wir nicht. Dass Lindner ihm zwischen 6 und 9 Milliarden zugesichert hat, wissen wir jedoch. Ein netter Zug von Lindner, der damit einen von beiden Wünschen der grünen Fraktion erfüllt hat.
  4. Lisa Paus
    Frau Paus macht auf mich keineswegs den Eindruck, als habe sie sich aus freien Stücken und ohne Auftrag oder zumindest zugesicherten Rückhalt als enfant terrible inszeniert und ihre KiGruSi-Palme erklommen. Wobei – das muss man berücksichtigen – die Besserstellung von Kindern nicht ihr eigentliches Ziel dabei ist, sondern die Kindergrundsicherung als Brechstange dienen soll, mit der sie das Ehegattensplittung aushebeln will – und so, wie sie sich im Augenblick verhält – die Wachstumschancen der deutschen Wirtschaft, soweit sie sich aus Lindners Gesetzesvorhaben ergeben könnten, gleich noch mit.

So schnell die Presse zum Thema geradezu beängstigend still geworden ist, so groß scheint das Dilemma zu sein, in das sich die Ampel gestürzt hat. Dass der alte Fahrensmann der FDP, Wolfgang Kubicki, das Verhalten der Grünen im Allgemeinen und der Frau Paus im Besonderen gänzlich uncharmant als “einfach nur dumm” bezeichnet hat, kann man dabei keineswegs als den Versuch interpretieren, zu einer friedlichen Verhandlungslösung zu kommen. Da stärkt einer dem Lindner ganz massiv den Rücken.

Lindner kann sich dabei auch noch entspannt zurücklehnen und erklären, dass die Milliarden eben nur einmal in der Kasse sind, und dass die Grünen sich doch bitte einigen mögen, wer die Kohle ausgeben dürfen soll: Der Wirtchaftsminister oder die Ministerin für allerlei Soziales, was nicht vom Ressort für Arbeit und Soziales wahrgenommen wird.

Es schält sich heraus, dass der Affront nicht gegen den Finanzminister gerichtet ist, sondern aus dem grünen Stuhlkreis heraus gegen den grünen Wirtschaftsminister Habeck.

Habeck hat sich seit zwei Jahren – erst mit großartigen Ankündigungen, dann mit nicht aufgehenden Rechnungen und verzweifelten Reparaturversuchen – im Rampenlicht stehend, den Ruf versaut und darf durchaus als bereits abgewirtschaftet und angezählt gelten. Dabei muss er auf die Idealos in der grünen Traumblase schon alleine deshalb als “Verräter” an der guten Sache erscheinen, weil sich seine Politik doch immer wieder zumindest den Notwendigkeiten der Realität annähert, was letztlich dazu geführt hat, dass Deutschland seit langer Zeit nicht mehr so viel Kohle über die Weltmeere aus Kolumbien und Australien herangeführt und dann unter massivem CO-2 Emissionen verbrannt hat, um Strom zu gewinnen, wie unter der politischen Verantwortung der Grünen.

Meseberg wird spannend!

Ob Scholz noch irgendwo ein paar Milliarden ausgraben kann, um Wachstumschancen und die Kindergrundsicherung zu finanzieren, hängt von Lindner ab. Der könnte – unter Verlust von Sympathiepunkten bei der FDP-Klientel und unter dem Gespött der Opposition – nachgeben. Aber er wird sich das teuer an anderer Stelle bezahlen lassen, während Scholz dabei seine Erpressbarkeit kaum mehr mit guten Worten würde verhüllen können.

Habeck ist m.E. bereits so verzweifelt, dass er das Wachstumschancengesetz – auch wenn es von Lindner eingebracht wurde – als möglicherweise den letzten Strohhalm ansieht, der noch vorbeigeschwommen kommt, bevor er als der Zerstörer der deutschen Wirtschaft in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ich würde mich nicht wundern, wenn er im Verlauf des Streits seinen Rücktritt anbieten und die Schuld daran den uneinsichtigen Figuren, also Frau Paus und deren Unterstützern in der eigenen grünen Fraktion anlasten würde.

Frau Paus könnte andererseits feststellen müssen, auf verlorenem Posten zu stehen, weil die Strippenzieher im Hintergrund erkennen, zu weit gegangen zu sein. Ein zähneknirschender Verzicht auf die KiGruSi-Milliarden, verbunden mit der Zusage, die im nächsten Bundeshaushalt doch noch unterzubringen, könnte ihr das Gesicht und den Job retten.

Wäre die Union eine Opposition, wie man sie sich vorstellt, dann wäre jetzt die Gelegenheit für ein konstruktives Misstrauensvotum gegeben, und Scholz hätte nur eine kleine Chance, das zu überstehen.