Arbeitsmarkt: Solide Grundverfassung

Wenn ein Immobilienmakler ein ziemlich marodes Gebäude im Angebot hat, verweist er gerne auf die solide Grundsubstanz.

Da mag der Putz auch bröckeln, die Haustüre mag leicht schief in den Angeln hängen, die Fenster können teilweise zerbrochen sein, aber die Fundamente sind bombenfest und an den tragenden Wänden sei schließlich auch nichts auszusetzen. Mit ein bisschen Fantasie und dem nötigen Geld kann aus dem Schnäppchen schnell wieder ein Schmuckstück werden.

Nun sind Immobilienmakler nicht unbedingt die vertrauenswürdigste Berufsgruppe, doch am Ende des Rankings stehen in einer weltweiten Umfrage von 2023, ebenso wie in der GfK-Umfrage von 2018, nicht die Makler, sondern die Politiker, noch hinter den Versicherungsvertretern und Werbefachleuten.

Wenn Andrea Nahles, die viele Jahre aktive Politikerin war, bevor sie den Vorstandssessel der der BA erklimmen durfte, also von einer “soliden Grundverfassung” des Arbeitsmarktes spricht, dann kann darin die äußerste Anstrengung vermutet werden, doch noch wenigstens ein positives Merkmal benennen zu können.

Als beständiger Beobachter des Arbeitsmarktes, genauer gesagt der wegbrechenden Jobs und Stellen, sei es durch einfachen Personalabbau, durch Verlagerungen von Standorten ins Ausland, durch Betriebsschließungen oder Insolvenzen, sage ich: Die Zeiten als der Arbeitsmarkt in Deutschland wirklich noch grundsolide war, sind seit Jahren vorbei.

Dass die Zunahme der offiziell gezählten Arbeitslosen um 148.000 Personen von August 22 bis August 23 nicht so ernst genommen werden dürfte, weil die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im gleichen Zeitraum von 34,577 Millionen auf 34,772 Millionen, also um 195.000 gestiegen sei, ist ein fadenscheiniges Argument.

Nach meiner Statistik, die allerdings nur erfassen kann, was an Meldungen über Arbeitsplatzabbau von den Medien aufgegriffen wurde, sind im gleichen Zeitraum, trotz der beginnenden Belebung nach Corona, in Deutschland rund 327.000 Jobs gecancelt worden. Dabei handelte es sich ganz überwiegend um “gute” Arbeitsplätze, allerdings mit einem wachsenden Anteil von Jobs im stationären Einzelhandel, einschl. handwerklich geführter Bäckereien und Metzgereien.

Es ist nicht schwer, zu dem Schluss zu kommen, dass die von den Energiekosten gebeutelten Konsumenten für allen übrigen Bedarf deutlich weniger Kaufkraft zur Verfügung hatten. Angefangen hat das mit den Schuhen, das hat gleich mehrere große Ketten in den Abgrund gezogen.

Aber die Statistik “Jobwunder Deutschland” kennen die meisten meiner Leser.

Daher wage ich mich heute mit einer Prognose heraus:

Es gibt viele Unternehmen, bei denen das Auftragspolster schwindet, und viele, denen es schwer fällt, ihr Angebot trotz der Energiepreisexplosion noch so zu gestalten, dass einerseits die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und andererseits unter dem Strich noch ein positives Ergebnis übrig bleibt.

Viele davon haben geduldig auf eine Entscheidung aus Berlin über einen Strompreisdeckel gewartet, und die Ferien und Urlaubszeit genutzt, um ohne Entlassungen oder Kurzarbeit, trotz reduzierter Produktion über die Runden zu kommen.

Jetzt strömen die Beschäftigten alle wieder an die Arbeitsplätze, aber das erlösende Signal aus Berlin ist bisher ausgeblieben und wird wahrscheinlich auch weiter ausbleiben.

Meines Erachtens wird sich daher, beginnend im September und sich im Oktober und November verstärkend eine neue Welle der Arbeitsplatzvernichtung aufbauen. Jene die überleben und weitermachen wollen, werden sich – am Geschäftsjahr orientiert – auf einen abgespeckten Neustart ab Januar 2024 vorbereiten, jene, die beabsichtigen den Geschäftsbetrieb aufzugeben, werden – je nach Branche – vielleicht noch das Weihnachtsgeschäft mitnehmen und dann ebenfall im Januar die Tore für immer schließen. Der fällige Gang zum Insolvenzgericht wird von den meisten auch ins letzte Quartal gelegt werden, um einigermaßen unbelastet ins neue Jahr starten zu können.

Ich rechne damit, dass diese Entwicklung in den fünf Monaten von September 23 bis einschl. Januar 24 mit rund 250.000 vernichteten Arbeitsplätzen in Deutschland zu Buche schlagen wird, wobei nun auch die bisher expandierende Logistikbranche in Mitleidenschaft gezogen werden dürfte. Zumindest werden kaum neue Stellen für LKW-Fahrer, Fahrradkuriere, DHL, UPS, DPD, und wie sie alle heißen, angeboten werden. Möglicherweise wird sogar Amazon die Pläne für neue Logistikzentren auf Eis legen, denn nach dem Weihnachtsgeschäft, das auch in diesem Jahr die Erwartungen wieder nicht erfüllen dürfte, werden auch die Bestellungen beim Online-Handel einbrechen.

Wer meint, betroffen sein zu können, sollte sich vorbereiten.